‘Das Konstrukt von sich treffenden Linien’ / Sigrid Brandstetter
Neben seiner künstlerischen Ausbildung hat Gerard van der Horst Philosophie und Kunstgeschichte studiert. Dies zu erwähnen scheint mir vor dem Hintergrund seiner Arbeiten wichtig, denn seine Auseinandersetzung mit der Linie nimmt wichtige kunsttheoretische Ansätze aus dem frühen 20. Jahrhundert auf. Im Manifest der niederländischen Gruppe De Stijl um Piet Mondrian und Theo van Doesburg wurde formuliert, das Gesehene in seine Grundformen zu zerlegen. Das Anliegen der Gruppe war es, sich vollständig von den Darstellungsgrundsätzen der traditionellen Kunst abzuwenden und eine neue, völlig abstrakte Formensprache zu erarbeiten, die auf der Variation von wenigen elementaren Prinzipien der bildnerischen Gestaltung beruht. Diese waren waagerecht/senkrecht, groß/klein, hell/dunkel und die Grundfarben. Ein weiterer Impuls ging von Wassily Kandinskys und seiner Schrift Punkt und Linie zu Fläche aus. Sein Werk “Punkt und Linie zu Fläche” ist eine Analyse der Kompositionsgrundlagen, in dem Kandinsky Basiselemente der Malerei erarbeitet und das grafische Zeichnen abseits einer beschreibenden Funktion erläutert. Bezeichnend ist der Satz “Die bis heute herrschende Behauptung, es wäre verhängnisvoll, die Kunst zu zerlegen, da dieses Zerlegen unvermeidlich zum Tod der Kunst führen müsste, stammt aus der unwissenden Unterschätzung der bloßgelegten Elemente und ihrer Kräfte.” Nach diesem Prinzip werden die Elemente Punkt, Linie und Malgrund in ihrer Funktion, Kraft und Bedeutung geprüft. Solchen Überprüfungsprozessen liegen den Arbeiten Gerard van der Horst zu Grunde. Er selbst variiert die Grundform des Dreiecks, letztlich das Konstrukt von sich treffenden Linien. Bringt sie in verschiedene Konstellationen, deren Wirkung sehr unterschiedlich sein kann. Geschlossen – Offen – Innen und Außen, Schwebend und Statisch.
Sigrid Brandstetter
Kunsthistorikerin
Museum Pachen, Rockenhausen
Treffpunkt Linienfelder, Austellung Laudatio, Mai 2019